Der Dreimaster "Harzburg" ( von Hans Schmidt )


Die heutige Kurverwaltung am Stadtpark war seit Anfang der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts die Sommervilla des Bremer Großhandelskaufmanns Hermann Heinrich Meier. Von hier aus regte er u.a. die Eisenerzgewinnung und -verhüttung in der Harzrandmulde bei Bündheim und Harlingerode an. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es einen Werbeträger, der den Namen Harzburgs über Weltmeere brachte: Konsul H. H. Meier, ein großzügiger Freund Harzburgs (das damals noch Neustadt unter der Harzburg hieß) und Förderer der hiesigen Wirtschaftslebens weilte fast alljährlich in seiner oben beschriebenen Villa. Der in seiner Heimatstadt noch heute gerühmte hanseatische Kaufmann von großem Format, der u.a. den "Norddeutschen Lloyd" gründete und ihm vorsaß, der langjährig der 1. Vorsitzende des "Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger", Reichstagsabgeordneter u.a. war, bewegte sich neben dem Handel in seiner Ex- und Importfirma in vielen anderen unternehmerischen und handelspolitischen Aktivitäten.

Das Stammunternehmen, die Firma H. H. Meier & Co. in Bremen, beschäftigte sich seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts mit dem Ex- und Import von Rohstoffen und Waren. Der Transport über See erfolgte mit einer kleinen Flotte von eigenen Segelschiffen, die von der Reederei der Firma unterhalten wurde. Im Esport der Firma nach Übersee spielte vor Mitte des 19. Jahrhunderts das Leinen eine wichtige Rolle. Es verlor dann aber seine Bedeutung. An seine stelle traten u.a. Tonerde aus Großalmerode bei Kassel für die Herstellung von Glasschmelzhäfen, Schwerspat aus Allendorf an der Werra und Steinsalz aus Straßfurt bei Aschersleben.

Im Import, im wichtigsten Zweig des Geschäftsbetriebes, wurden Häute und Felle aus Kolumbien und Venezuela, Reis aus Rangun, Kaffe und Kakao aus Südamerika, Indigo, Chinarinde, Cochenille, Elfenbeinnüsse, Holz und Flechtrohr und viele mehr eingeführt und weiter verhandelt. Wichtigster Importartikel war aber seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts das nordamerikanische Erdöl in Fässern. Hier hatte Meier eine eine gewinnbringende "Marktlücke" entdeckt. Mit einem Spezialschiff der "Mozart", beteiligte sich die Firma auch am Walfang in den nördlichen Breiten des Pazifik.

Bis zur Gründung des "Norddeutschen Lloyd" war für die Reederei der Kajüt- und Passagierverkehr mit Nordamerika von größter Bedeutung. Die Schiffe der Reederei H. H. Meier & Co. gingen als regelmäßige Paketboote bis zum Beginn der Dampfschifffahrt über den Atlantik und waren für den Post- und Nachrichtenverkehr zwischen Europa und Nordamerika von außerordentlicher Wichtigkeit. In der Blütezeit der Firma um 1860 fuhren insgesamt 10 Segelschiffe der verschiedensten Schiffstypen - vor allem Fregatten, Barken und Schonerbriggs - unter der Flagge der Reederei. Die blaue Flagge, in deren Mitte sich ein rotes Rechteck mit dem weißen Großbuchstaben "M" in fetter Biedermeier-Antiqua befand, war das Markenzeichen der Firma H. H. Meier & Co.

Die Jahre zwischen 1847 und 1857 waren in der Geschichte der Hansestadt Bremen die Zeit, in der die Weichen für ihre Stellung als Welthandelsstadt gestellt wurden. Kaum ein anderer Bremer Kaufmann hat in diesen Jahren die Entwicklung des Handels und der Schiffahrt Bremens so nachhaltig beeinflusst wie H. H. Meier. Die Vorbedingungen für die vielseitigen Unternehmungen der Stadt lagen in den günstigen Zeitverhältnissen. Viele andere Bremer hatten H. H. Meier vorgearbeitet und geholfen, aber er war schließlich derjenige, der das Geschaffene zu erhalten und auszubauen verstand. Die Impulse, die von der Entwicklung von Technik, Industrie und Wirtschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts ausgingen, waren stärker als je zuvor. Dampf und Strom - Dampfmaschiene, Eisenbahn, Elektromotor und Telegraf entwickelten bei Weitsichtigen neue Kategorien des Denkens und Planens. H. H. Meier gehörte zu diesen Weitsichtigen.

Der Umfang der Geschäfte der Firma H. H. Meier & Co. Wuchs unter seiner Leitung von Jahr zu Jahr. Neben dem Ex- ind Import lag das Hauptgeschäft nach der Mitte des Jahrhunderts auf dem Passagierverkehr nach Nordamerika. Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Europa drängten viele Menschen zur Auswanderung. Sie erhoften sich eine bessere Zukunft in der Neuen Welt. Die Dauer einer Überfahrt im Segelschiff von Bremerhaven nach New York schwankte - je nach den Wetterverhältnissen zwischen 35 und 57 Tagen. Auf den bekannt guten Segelschiffen der Fima H. H. Meier, wie z.B. der beliebten Bark "Isabella" zahlte man gern seine 100 Taler für eine Überfahrt.

In der Mehrzahl waren die zahlenden Passagiere jedoch Auswanderer, die nicht so viel Reisegeld aufbringen konnten. Sie hausten während der Überfahrt eshalb nicht unter Deck in den wenigen Kajüten, sondern in Zelten und Verschlägen auf Deck. Eine Bark wie die "Isabella" oder die "Harzburg" konnte dabei bis zu 120 Personen transportieren. Die späteren großen Segelschiffe fassten mehr als 300 Personen bei 25 bis 30 Mann Besatzung. "Traumschiffe" waren es aber keinesfalls, was den Komfort und die Bequemlichkeit anbetrifft. Die Zufälle der Schifffahrt, das unterschiedliche Wetter der Jahreszeiten, die Abhängigkeit von Wind und Wellen, der Magel an frischer Nahrung lassen uns Heutige nur ahnen, was die Passagiere damals auf so einer Seereise aushalten mussten. Dazu kam die Seekrankheit! Es waren ja hauptsächlich "Landratten", die nach Übersee auswanderten.

Im Besitz des Verfassers ist ein kleines handgeschriebenes Heftchen eines seiner Urgroßonkel, der sich 1861 für fünf Jahre bei einer anderen Bremer Handelsfirma, die sich ebenfalls wie die Firma H. H. Meier am Walfang im Pazifik beteiligt. Als Schäfer auf der Hawaii-Insel Kahoolawe verpflichtet hatte, die Hawaii- oder damals Sandwich - Inseln waren für die Walfänger die Nachschubbasis dür frische Verpflegung. Die Bremer Firmen besaßen dort Rinder - und Schaffarmen. Das Heftchen ist das Reisetagebuch von A. W. Rumpf. Er zeichnete darin die Erlebnisse einer "Reise zu den Sandwich-Inseln - 1861" genau auf. Von Bremerhaven ging es von Nord nach Süd über den Äquator hinweg über den Atlantik. Von Kap Horn ging es wieder hinauf über den Äquator nach Honolulu. Funfeinhalb Monate brauchte man für diese Reise mit einer Schonerbrigg, die nur ein Drittel so groß war wie die Bark "Harzburg"

Es existiert eine Biografie - von Friedrich Hardgen angefangen und von Meiers Tochter Käthi fortgesetzt und abgeschlossen -, die in der Harzbücherei des Harzburger Geschichtsvereins steht. Sie war ein Geschenk von Gertrud von Wachholtz, geb. Castendyck, also Tochter des Bergwerksdirektors W. Castendyck, dem technischen Leiter der Harzburger Eisenerzgruben und der "Mathildenhütte", einem Vertrauten H. H. Meiers. In einer diesem Buch beigegebenen Liste der Schiffe der Reederei H. H. Meier & Co. fand sich die Spalte: Bark "Harzburg" 439 Last, in Fahrt 1863 bis 1884, danach verkauft für 33.000 Mark. Ich wandte mich an den mir bekannten Direktor des Bremer Stadtarchivs und an einem mir bekannten Schiffsfachmann. So wusste ich bald: Eine "Bark" ist ein Dreimastsegler, der an den beiden vorderen Masten Rahsegel und an dem hinteren Mast ein Gaffelsegel trägt. Die Ladefähigkeit der Segelschiffe wurde damals in "Last" angegeben. Umgerechnet betrug eine "Last" etwa 1,5 Nettoregistertonnen. Die Schiffe der Redeerei H. H. Meier & Co. hatten im Durchschnitt um etwa 500 "Last". Das größte Schiff, die "Constantia", hatte 794 "Last". Leider fuhr sie im Gegensatz zu den anderen Schiffen unglücklich. Sie endete am 73. Geburtstag des Konsuls im Jahre 1882 im Ärmelkanal durch Zusammenstoß mit einem englischen Dampfer und sank mit Mann und Maus.

Zwischen dem Anfang des 19. Jahrhunderts und dem Jahr 1886 - der Auflösung der Redeerei - fuhren insgesamt 125 Schiffe unter der Flagge der Firma H. H. Meier. Neben der Redeereiflagge führten die Schiffe am Besanmast die bremische bzw. nach 1871 die Reichsflagge. Zusätzlich führte die Fock des Besanmastes die FLaggen des Flaggencodes, des Erkennungszeichens des SChiffes. Die Bark "Harzburg" setzte dort die FLaggen QBSD. Ein Bild des Schiffes ist erhalten (siehe unten). Es ist ein sogennantes Kapitänsbild, d. h. ein Gemälde, das sich einer ihrer Kapitäne von "seinem" Schiff malen ließ, um es bei sich zu Hause aufzuhängen.Im Jahre 1857 besaß die Redeerei die größte Zahl an Schiffen, nähmlich zehn. Das letzte Schiff die "FReihandel" wurde 1886 verkauft. Das Zeitalter der Dampfschiffe hatte die Segelschifffahrt unrentabel gemacht. Die Schifffahrtspläne H. H. Meiers konzentrierten sich zudem auf seine Gründung und Beteiligung am Norddeutschen Lloyd. Den Namen "Harzburg" trugen später auch zwei Dampfer der Deutschen Dampfschifffahrts - Gesellschaft "Hansa". Über sie wäre ein anderes Mal zu berichten.

Die Mehrzahl der der Redeerei gehörenden Schiffe wurden auf Rechnung der Firma H. H. Meier & Co. gebaut. Sie entstanden auf den werften von Jahann Lange in Vegesack oder bei den Gebrüdern Christoffers in Neu Rönnebeck an der Weser. Nur wenige Schiffe wurden von anderen Redeerein gekauft. Die auf eingene REchnung gebauten Schiffe führten in der Mehrzahl Namen von Angehörigen und Freunden der Familie Meier oder wiesen auf die handelspolitischen Vorstellungen H. H. Meiers hin. So führte auch die Bark "Harzburg" ihren Namen in einem sinnvollen Zusammenhang mit den damals neuen Unternehmungen H. H. Meiers im Amt Harzburg: Der Eisenerzgewinnung und - verhüttung.

Die Bark lief am 28. August 1862 vom Stapel - sicher begleitet von dem Wunsch, dass die "Harzburg" allezeit glücklich fahren möge! Bei einer Länge von 42,80m und einer Breite von 6,25. hatte das Schiff eine Tragfähigkeit von 642,6 RT (englisch), d. h. von rd. 900 t. Die Bark "Harzburg" hatte in den anderen Schiffen der Redeerei würdigte Namensträger zur Seite. Angefangen von der Brigg "Constitution", der Brigg "Franklin", den Schiffen "A. von Humboldt", "Uhland" und "H. von Glagern" finden wir - neben Schiffen mit den Namen der FRauen der Familie und Teilhabern - die Schiffsnamen "Emigrant", "Orient", "Kosmos", "Freihandel" und "Victoria".

Der erste "Seepass" wurde für die "Harzburg" am 25 September 1862 ausgestellt, d. h. sie ging damals auf ihre Jungfernfahrt. Leider war aus den Akten nicht zu ersehen, nach welchem Bestimmungshaven und mit welcher Ladung die Reise ging. Den BEfehl über das Schiff hatte der Kapitän J. Wächteraus Vegesack. Bis zu Jahre 1868 führte er das Kommando. Abgelöst wurde er durch Kapitän Joh. Kühlken aus Bremerhaven, der das Schiff bis 1875 führte. Der Kapitän Hinrich Hashagen aus Vegesack war der letzte bremische Kapitän der Bark. Sie wurden am 26 August 1884 an den neuen Reeder Christoph Berg & Consorten in Riga verkauft. Damit verliert sich die Spur der Bark "Harzburg", da sie von nun an nicht mehr in den Registern der Deutschen Kauffahrtschiffe geführt wurde.

Die Register weisen auch Eintragungen über die Fracht der "Harzburg" auf. Im Jahre 1865 waren es Auswanderer nach Nordamerika. 1881 ab kamen Baumwolle und Tabak zur Verladung und zwischen 1867 und dem Verkauf wurden von ihr 77.689 tons Petroleum nach Bremen befördert. Die Phantasie des Lesers möge im Einzelfall sich die Reisen und das Ende des Dreimastseglers "Harzburg" ausmalen...

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